EU-Arzneimittelreform: Bezahlbarer Zugang entscheidet

Statement zum Trilogergebnis zwischen den EU-Institutionen zur Arzneimittelreform, 16. Dezember 2025

Nach mehr als zwei Jahrzehnten wurde mit der EU-Arzneimittelreform erstmals eine umfassende Überarbeitung des europäischen Arzneimittelrechts auf den Weg gebracht. Der im Trilog zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission erzielte Kompromiss ist politisch wie technisch anspruchsvoll und setzt ein wichtiges Signal: Die Europäische Union ist grundsätzlich in der Lage, zentrale Strukturfragen des Arzneimittelrechts zu modernisieren und auf aktuelle Herausforderungen in Versorgungssicherheit und Wettbewerb zu reagieren.

Die Deutsche Sozialversicherung (DSV) begrüßt die mit den Reformvorschlägen der Europäischen Kommission verfolgten Ziele und hat ihre Position wiederholt in den Gesetzgebungsprozess eingebracht. Die nun ausgehandelte Einigung zur Arzneimittelreform adressiert zahlreiche bekannte Schwachstellen des bestehenden Systems und kann Transparenz, Koordination und Rechtssicherheit auf EU-Ebene stärken. Zugleich bleibt sie in zentralen Punkten hinter den Erwartungen zurück – insbesondere dort, wo es um eine konsequentere Stärkung von Bezahlbarkeit, Zugang und finanzieller Tragfähigkeit der solidarisch finanzierten Gesundheitssysteme geht. Ob der wiederholt betonte Anspruch, Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt zu stellen, tatsächlich eingelöst wird, wird maßgeblich von der praktischen Umsetzung abhängen.

Vor diesem Hintergrund bewertet die DSV die Einigung wie folgt:

Wir begrüßen,

  • dass die im Trilog vereinbarte maximale regulatorische Schutzfrist von 11 Jahren die Gesamtdauer monopolistischer Schutzrechte klar begrenzt und damit grundsätzlich den früheren Markteintritt von Generika und Biosimilars ermöglicht - ein wichtiges Signal für Wettbewerb und langfristige Bezahlbarkeit,
  • die Stärkung und Präzisierung der Bolar-Ausnahme, die rechtliche Klarheit schafft und sicherstellt, dass vorbereitende Tätigkeiten für Zulassungs-, HTA-, Preis- und Erstattungsverfahren sowie Vergabeverfahren bereits während der Schutzdauer möglich sind. Dies verhindert strategische Marktverzögerungen und stärkt den Wettbewerb ab dem ersten Tag nach Ablauf des Patentschutzes,
  • die neuen Regelungen zur Vermeidung und zum Management von Lieferengpässen, insbesondere verbindliche Präventionspläne, klarere Meldepflichten sowie eine stärkere koordinierende Rolle der EMA,
  • die Einführung eines freiwilligen Subskriptionsmodells für antimikrobielle Arzneimittel, das aus Sicht der DSV einen richtigen und wichtigen Ansatz darstellt, um strukturelle Marktversagen im Antibiotikabereich zu adressieren. Vergütungsmodelle, die ganz oder teilweise vom Absatzvolumen entkoppelt sind, setzen geeignetere Anreize für die Entwicklung dringend benötigter Wirkstoffe als rein absatzbasierte Mechanismen.

Wir bedauern,

  • dass der bestehende Unterlagenschutz für Arzneimittel mit weiterhin acht Jahren im Wesentlichen unverändert beibehalten wurde und damit ein zentrales Reformpotenzial ungenutzt bleibt. Die Einigung bleibt damit deutlich hinter dem Kommissionsvorschlag zurück, der eine Absenkung des Datenschutzes auf sechs Jahre vorgesehen hatte, und verfehlt das Ziel, den früheren Markteintritt von Generika und Biosimilars spürbar zu erleichtern.
  • dass die Exklusivitätsfristen im Bereich der Orphan-Arzneimittel weiterhin hoch sind. Der neu eingeführte Ansatz für „Breakthrough Orphan Medicines“ ist zwar zielgerichteter als bisherige Konzepte. Er bleibt jedoch strukturell begrenzt, da die grundlegende Problematik überlanger Exklusivitätsfristen nicht adressiert wird, obwohl eine solche Begrenzung aus Versorgungs- und Kostenträgersicht wünschenswert gewesen wäre,
  • dass mit dem Transferable Exclusivity Voucher für prioritäre antimikrobielle Arzneimittel weiterhin ein Anreizinstrument vorgesehen ist, das trotz der im Trilog erreichten Begrenzungen erhebliche Risiken für Fehlanreize und zusätzliche Kosten birgt. Die Verlängerung von Schutzfristen verschiebt finanzielle Risiken auf die solidarisch finanzierten Gesundheitssysteme, während der tatsächliche Zusatznutzen für Innovation und Versorgung ungewiss bleibt und daher eine besonders strenge Umsetzung, Kontrolle und Evaluierung erforderlich macht.


Über uns

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund), die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der GKV-Spitzenverband, die Verbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) haben sich mit Blick auf ihre gemeinsamen europapolitischen Interessen zur „Deutschen Sozialversicherung Arbeitsgemeinschaft Europa e.V.“ zusammengeschlossen. Der Verein vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Organen der Europäischen Union sowie anderen europäischen Institutionen und berät die relevanten Akteure im Rahmen aktueller Gesetzgebungsvorhaben und Initiativen. Die Kranken- und Pflegeversicherung mit 75 Millionen Versicherten, die Rentenversicherung mit 57 Millionen Versicherten und die Unfallversicherung mit mehr als 70 Millionen Versicherten in 5,2 Millionen Mitgliedsunternehmen bieten als Teil eines gesetzlichen Versicherungssystems den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland wirksamen Schutz vor den Folgen großer Lebensrisiken.

DSV-Statement zum Trilogergebnis zur Arzneimittelreform